Istanbul

Das erste Mal waren wir in der Türkei, als wir meinen Bruderbesuchten, der schon viele Jahre dort lebte. Damals entstand die Idee zu dem Buch "Stadt ohne Väter", in ihm finden sich Szenen dieser Reise wieder.

1992 zu unserem 50 Geburtstag leisteten wir uns eine Städte Reise nach Istanbul. Die nun folgt, und die zu Szenen in für das Buch "Der Märchenerzähler - Orientalische Liebesmärchen" inspirierte.

Das Jubiläum unserer fünfzigsten Sonnenumrundung nahmen meine Frau und ich zum Anlass, um für vier Tage nach einem meiner alten Traumziele zu jetten.

Als wir uns im Transferbus von unserem Hotel wieder zurück zum Atatürk-Flughafen in Bewegung setzten, verabschiedete sich die Reiseleiterin über Mikrofon mit der Hoffnung, dass es uns in Istanbul gefallen habe. Wir hatten niemand besucht und auch keine neuen Bekanntschaften geknüpft, und trotzdem stießen mir bei dieser harmlosen Höflichkeit Tränen in die Augen. Noch nie wurde diese Gefühlsregung bei mir durch das Verlassen einer Stadt ausgelöst. Ich habe in Paris eine Bekannte zurückgelassen, die ich vorher schon kannte, und mit der ich zuvor in Briefkontakt stand. Ich habe in Südamerika und Südafrika Kontakte geknüpft, die sich ohne Erregung so schnell auflösten wie sie geknüpft worden waren. Weder in Wien, Venedig, London, Paris noch in Afrika oder Amerika hat mich dieses Gefühl beschlichen.

Vor drei Jahren waren wir schon einmal in der Türkei. Jene Gegend hatte diese Empfindung auch nicht ausgelöst. Noch kein Ort hatte in mir so viel Erregung erzeugt wie Istanbul.

Ich weiß nicht ob es einer oder mehrere Zauber waren, die mich beim Abschied vom Tor zum Orient wehmütig werden ließen. Im Flugzeug und zu Hause überfiel mich noch mehrmals diese Wehmut. Noch immer überfällt mich Schmerz, wenn ich an die Metropole am Bosporus denke. Deshalb erzähle ich alle Zauber, Eindrücke und Erlebnisse, denen ich mich auf der Drehscheibe zwischen Europa, Asien und Afrika aussetzte. Drehscheibe Europa - Afrika? Der Landweg von Afrika nach Europa geht entweder über Gibraltar oder über den Bosporus und so sehe ich Istanbul auch als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika, was die arabischen, fliegenden Händler dann auch sehr bald bestätigten.

Wir hatten am Vortag des Abflugs in Mitteleuropa strahlendes Frühjahrswetter und wussten, dass uns in der alten Kaiserstadt des Oströmischen Reiches Regen erwarten wird. Das Flugzeug startete zwei Minuten bevor Helios mit seinem Sonnenwagen die Reise um die Erde antrat. Nach dem Start des Flugzeugs kündigten zinnoberne Streifen die aufgehende Sonne an. Kurz darauf zeigte sich der gebeugte Rücken der flammenfarbenen Sonnenscheibe, bis sie kurz darauf ganz zu sehen war. Und sie ihren Weg über uns hinweg zogen, und wir unseren unter ihr hindurch.

Bald waren wir über den Wolken, und unter uns sah es aus, als ob wir über die vereisten Pole der Erde fliegen würden. Einmal trieb ein Wind eine Wolke vor sich her, die sich wie eine Rolle vor ihm herwälzte. Es sah aus, wie wenn im Winter der Wind Schnee aufgewirbelt hat und vor sich hertreibt.

Kurz vor unserem Ziel tauchte ein Flieger von unten durch die Wolkendecke hindurch auf und zog einen Schneewirbel hinter sich her, wie eine Ente, wenn sie vom Wasser in die Lüfte startet.

Wie vom Wetterbericht angekündigt, war in Istanbul lausig kaltes und diesiges Aprilwetter. Kein Wunder, dass die Brücke, die Europa mit dem, im schiefergrauen Dunst durchschimmernde asiatische Kontinent  verband, keinen besonderen Eindruck hinterließ, falls man nicht darüber philosophierte. Wenn das Wetter auch nicht zu euphorischem Epikurismus Anlass gab, war es auch nicht so schlimmg, um in triste Philosophien zu verfallen.

Auf dem Transfer tauchte auf einmal auf der linken Seite das alte Byzanz auf in Form von Bruchstücken seiner alten Stadtmauer. Das war sofort klar, weil dünne, waagerechte, rote Ziegelstreifen sich mit breiten horizontalen darüber- und darunterliegenden Sandsteinstreifen abwechselten. An den Bruchstellen erkannte ich die Breite der Mauer, von der ich sehrbeeindruckt war. Zum Glück war die Mauer im Laufe der vergangenen Jahrhunderte nicht geschleift worden noch hat sie der salzige Seewind zerfressen. Ich hatte die ersten Zeugnisse einer berühmten Epoche der Stadt gesehen.

Neu-Rom oder Konstantinopel, wie es später hieß, liegt wie Rom auf sieben Hügeln. Die Siebenhügelstadt am Bosporus hatte verschieden Namen, die bekanntesten sind Byzanz, Konstantinopel und der heutige Istanbul.

Die Metropole am Bosporus ist nicht so alt wie Jericho, wenn gleich an dieser Stelle zur Steinzeit hier schon Menschen siedelten. Erst spätere Siedler bauten lange nach der Gründungszeit von Jericho eine Stadtmauer. Trotzdem blieben den Vorfahren Istanbuls die Leiden, welche die Einwohner Jerichos erdulden mussten, nicht erspart. Auch wenn die Eroberer nicht mit Posaunen die Mauer zum Einsturz brachten. Vielleicht waren die Altvorderen Istanbuls durch die byzantinischen Kaiser mehr geschunden als die Einwohner Jerichos.

Unser Hotel lag auf einem der sieben Hügel. Außer diesem Hügel haben wir zwei weitere Hügel zum Teil zu Fuß, zum Teil mit dem Taxi oder auch mit dem Bus erklommen. Mit der Hilfsbereitschaft der Türken, die eine ihrer bekanntesten Charaktereigenschaften ist, haben wir alle Sehenswürdigkeiten, nach denen es uns gelüstete, gefunden und vor allem auch immer wieder das Hotel, auch wenn wir den Bosporusturm, an dem wir uns orientierten, nicht sahen.

Es gibt viele Prachtbauten und romantische Szenen. Hier wird die Wasserpfeife gekostet, wie die "schwäbischen Weinzähne den Wein beißen".

Wie jede Metropole ihre typischen Originale hervorbringt, so gibt es auch in Istanbul Menschen die in unverwechselbarer Art ihren Beruf ausüben. Zu ihnen gehören die Lastenträger. Sie gehen, nach vorn weit übergebeugt, und tragen hinten auf ihrem Becken einen gepolsterten Keil, der mit Gurten gehalten wird.  Auf ihn wird die Ware, wenn sie nicht all zu schwer ist, hoch und weit ausladend aufgetürmt. Diese zweibeinigen Packtiere bugsieren ihre Last sicher durch die holperigen Straßen. Reicht eine Baustelle bis auf den Bürgersteig, dann steigen sie geschmeidig, wie sich eine Katze bewegt, das Trottoir ab und auf.

Ein anderer Beruf, den ich bis jetzt bloß in Istanbul gesehen habe ist der fliegende Trinkwasserverkäufer. Wir sahen ihn oben auf dem Berg bei der Universität. Er trägt vorn einen Bauchladen, in dem Trinkgläserstehen, und hinten auf seinem Rücken eine große Kanne mit dem einfachsten und billigsten Getränk der Welt. Will man bei ihm seinen Durst stillen, nimmt er aus seinem Bauchladen ein Glas , dann gießt er, indem er seinen Rücken soweit vorbeugt, bis aus dem Schwanenhals  der Wasserkanne das Glas gefüllt ist.

Bei der Blauen Moschee sahen wir vier Männer, die einen so alten Beruf ausübenten, der bei uns nur noch in Familiennamen fortbesteht, aber sonst völlig ausgestorben ist. Benützten die alten Ägypterin diesem Beruf als Werkzeuge Tontafeln und Griffel, so waren die Istanbuler weit, weit fortschrittlicher, denn sie saßen auf einem Klapphocker, vor sich ein Klapptischchen und darauf eine Reiseschreibmaschine, in die sie für ihre Kundschaft Briefe tippten.

Schreiber mit Reiseschreibmaschine bieten ihre Dienste an 

Schreiber bieten auf ihren Reiseschreibmaschinen ihre Dienste an

In der Post erinnerten uns sehr schöne Schreibpulte, von denen mehrere sehr schöne Exemplare in der Schalterhalle aufgestellt waren, etwas an das Mittelalter, als an ihnen unsere Schreiber standen, wenn sie ihrem Beruf nachgingen.

Etwas Bemerkenswertes, das ich auch nur in Istanbul gesehen habe, waren die Zugänge zu den Läden, die im Untergeschoss waren. Läden, in denen der Mittelstand Kleidung, Wäsche und Lederwaren kauft liegen gerne im Untergeschoss. Die niedrigere Miete für das Untergeschoss macht sich wahrscheinlich positiv im Preis bemerkbar. Aber was bei uns undenkbar wäre, ist der Zugang. Die Staffel, die in das Geschäft hinabführt, ist einfach aus dem Bürgersteig ausgespart. Wer wie der Hans-guck-in-die-Luft, an so einen Laden kommt, würde, wenn er in der Nähe der Hauswand ging, plötzlich von der Bildfläche verschwunden sein, und wenn er viel Glück hätte mit verstauchtem Bein sich vor dem Ladeneingang des Untergeschosses befinden. Andere Länder andere Bauämter.

   Stadt der tausend Moscheen

Wie Kiew den Beinamen Stadt der tausend Kirchen hat, so könnte Istanbul den Beinamen Stadt der tausend Moschen haben. Die Hauptstraße, die sich über unseren Hügel zieht, ist mit Moscheen gesäumt, wie eine Allee mit Bäumen. Wenn ich es im Nachhinein abschätze, dann kommt im Durchschnitt etwa jede dritte Minute eine Moschee entweder auf der einen oder anderen Seite. Die Moscheen sind natürlich verschieden groß. Überall stehen Moscheen, und wenn auf der Spitze eines Hügels nicht ein Turm thront, dann erhebt sich dort eine Moschee.

Die größte Moschee der südlichen Hemisphäre steht in Durban  an der südafrikanischen Küste des indischen Ozeans. Wodurch unterscheidet sich diese Moschee von einer in Istanbul?  Die Moschee in Durban hat eine besondere Eigenschaft, sie ist dreistockig. Auf zwei Ebenen wird gebetet und auf der dritten wird ballgespielt, denn sie hat ein Flachdach, vielleicht wird auch darauf gebetet, auf jeden Fall ist ein Spielfeld auf dem Flachdach aufgezeichnet. Warum auch nicht? Als Kind habe ich auch im Kirchhof ballgespielt. Die Moscheen in Istanbul haben kein Flachdach, sie haben eine Zentralkuppel.

Was macht die Moschee so pittoresk? Der Gegensatz von wuchtigen Kuppeln und grazilen Minaretten. Die Nachfahren der Minarette sind unsere Kirchtürme. Die Anzahl der Minarette zeigt von weitem sichtbar, die Bedeutung der Moschee. Mekka hat sieben Minarette, die Blaue Moschee in Istanbul hat sechs. Alle anderen Moscheen in Istanbul haben vier oder weniger Minarette.

Der Muezzin ist der Gehilfe des islamischen Priesters. Er steigt heute nicht mehr auf das Minarett, um zum Gebet zu rufen, sondern lässt seine Stimme durch die Lautsprecher, die an den Minaretten hängen, tönen. Wie Istanbul eine der Hauptstädte des Oströmischen Reiches war, so war auch Ravenna und Niccäa kurzzeitig die oströmische Hauptstadt. Anders, als aus dem Lautsprecher einer Kirche am Strand von Ravenna, kommt der Aufruf zum Gang in die geheiligte Stätte nicht vom Tonband, sondern das Lob Allahs wird immer wieder neu gesungen und nicht vom Tonband gespielt. Man kann aber mit Ravenna Nachsicht üben, denn schließlich ist die Anschaffung eines Glockengeläuts nicht gerade das billigste für eine kleine Gemeinde, die nur während der Urlaubszeit sich wie eine Seifenblase ausdehnt und sich dann wieder zu einem Tropfen zusammenzieht.

An der Verkehrshauptschlagader, die zu unserem Nachhause in Istanbul führt, aber nicht nur an dieser, sondern auch an anderen Straßen lag ein kleiner Friedhof,  im Areal der Moschee. Das Grab hat am Kopf und an den Füßen einen weißen, schlanken, aufgerichteten Grabstein. Das entspricht ganz unseren Dorfkirchen, bei denen noch der Gottesacker im Bereich des Gotteshauses ist.

Die Moschee, wie die ganze Religion, hat eine zentrale Bedeutung in den islamisch geprägten Ländern, so auch in der Türkei.

Um eine größere Moschee oder am Weg zur Moschee befinden sich die Händler, an denen sich der fromme Moslem fünf mal am Tag vorbeibewegen muss, wenn er sich zum Gebet in die Moschee begibt.

Der Islam hat, wie das Judentum, sehr viel mit praktischer Hygiene zu tun. Dazu gehören die rituellen Waschungen bei der Menstruation und nach dem Geschlechtsverkehr. Entgegen den Juden und Christen wäscht sich der Moslem vor dem Betreten des Gotteshauses die Füße bis zu dem Knöchel, die Hände und Arme, ebenso putzte er sich die Zähne, wobei er einen Finger als Zahnbürste benutzt. Für Nichtmoslems kommt dann eine Mosche geschickt, wenn er eben mal auf die Toilette sollte, und sonst keine vorhanden ist. Das Waschen geschieht vor dem eigentlichen Gotteshaus, aber im Areal der Moschee. Nehmen wir den Kreuzgang eines Zisterzienserklosters und stellen den Brunnen in die Mitte des Innenraums, dann hätten wir einen guten Vergleich zum Vorhof einer Moschee in Istanbul.

Die berühmteste Moschee in Istanbul ist die Blaue Moschee oder wie die Istanbuler sagen, die Sultan-Achmed-Moschee.

Die drei sehenswertesten Bauwerke in Istanbul sind der Topkapipalast, die Residenz des Herrschers des Osmanischen Reiches, die Sultan-Achmed-Moschee und die Hagia Sofia, eine byzantinische Kirche.

 

Topkapi-Palast

Topkapi-Palast

 

 

Topkapi-Palast

 

 

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Topkapi-Palast

 

 

 Thronsaal

 Der Thronsaal

 

Palastfenster

 Palastfenster

Die Hagia Sophia und die Sultan-Achmed-Moschee stehen sich auf einem riesigen Platz gegenüber und wetteiferten miteinander, das bedeutendere Bauwerk zu sein. Tatsächlich ist die Hagia Sophia das Vorbild für alle Moscheen in Istanbul, wenigstens soweit ich es gesehen habe. Und schließlich war die Hagia Sophia der eigentliche Magnet, der mich nach Istanbul gezogen hat. Es wurde erwogen, die Hagia Sophia zu den Weltwundern zu rechnen. Sie zählt nicht dazu, wenigstens nicht zu den sieben Wundern der Antike. Was aber ist das Großartige an dieser Kirche? Bis zum Bau der Peterskirche in Rom war sie die größte Kirche der Welt. Sie wurde zum Vorbild für Dome und Moscheen. Sie hat die größte Kuppel, aber nicht die Kuppel noch die Höhe von über 50 Metern verleiht ihr die Größe, sondern ihr graziles Stützwerk, das die immense Kuppel trägt, ließ sie zu einem der bedeutendsten Bauwerke werden.

Die Sultan-Achmed-Moschee hat die gleiche Kuppel - etwas kleiner - aber sie ruht auf vier Elefantenbeinen. Die Elefantenbeine oder die vier tragenden Säulen der Sultan-Achmed-Moschee haben einen Durchmesser von fünf Metern. Unter der Kuppel der Sultan-Achmed-Moschee befindet man sich tatsächlich wie unter einem riesigen Elefanten, der den Bauch eingezogen hat. Unter der Kuppel der Hagia Sophia befindet man sich unter einer Herde von Giraffen, die eben einmal stillsteht und unter dem umgedrehten Futterkorb versucht, noch etwas Heu tu finden, das vielleicht hängen geblieben ist.

Wenn der Bau der Hagia Sophia bedeutend graziler als der Bau der Sultan-Achmed-Mosche wirkt, dann ist die Ausschmückung der Sultan-Achmed-Moschee entschieden lebendiger und frischer, ja die herrlichen, hellen Fayencen mit den blauen Arabesken geben der Sultan-Achmed-Moschee mehr Frische und Lebendigkeit als das überwiegend goldene, aber strenge Mosaik der Hagia Sophia.

Wie entstanden die christlichen Kirchen? Aus Markthallen, und das führt uns natürlich auf Istanbuls Großen Bazar. Tatsächlich findet sich das Konstruktionsprinzip der Hagia Sophia auf dem Großen Bazar wieder. Würde man ein Netz mit einer Maschenweite von acht Metern auslegen, auf dessen Knoten runde Säulen stellen, über den Säulen entlang  den Netzfäden Rundbögen wölben und diesen Rundbögen einen waagerechten Ring stützen lassen, der die Kuppel trägt, dann hätte man das Konstruktionsprinzip des Alten Bazars. Es wurden jedoch keine monolithischen Bögen oder Ringe verwendet, sondern die Bögen und Ringe aus selbsttragendem Ziegelwerk erstellt. Die Zwickel zwischen den Bögen bilden einen kontinuierlichen Übergang vom Quadrat der Säulen auf die runde Basis der Kuppel. Sie wurden wie  die ganze Decke, die als sehr ästhetisch  wirkendes Sichtziegelwerk ausgeführt.

Der Neue Bazar ist um den Alten herumgebaut. Obwohl der Neue Bazar achthundert Jahre jünger ist, finden sich in ihm wieder Konstruktionselemente wie sie in der Hagia Sophia verwendet wurden. Das Gewicht der Decke wird nicht in einem großen Bogen auf einem rechtern und einem linken  Elefantenbein getragen, sondern in zwei größere und einem kleineren dazwischenliegenden Bogen übergeben. Die auf vier grazilen Beinen stehen.

Nicht nur die grazilen Beine, auch die ausgerundeten vier Ecken geben dem Hauptraum der Hagia Sophia ein liebenswürdiges Gefühl des Geborgenseins. Dagegen verleihen die großzügigen Eckdurchbrüche der Sultan-Achmed-Moschee ihr mehr das Gefühl unter freiem Himmel zu sein.

Zurück zum Bazar. Der Neue Bazar hat nicht, wie der Alte Bazar Kuppelgewölbe, sondern die viel einfacher zu bauenden aber dafür weniger eleganten Tonnengewölbe, die mit Ornamenten bemalt sind. Der Bazar ist aber weniger zum Studium der Architektur oder Kunst, vielmehr für den Warenhandel da. Im Bazar kann gehandelt werden, und wer im Großen Bazar den Preis nicht auf die Hälfte heruntergehandelt hat, der hat die Ware zu teuer gekauft. Am schwierigsten wird es für den Händler, und nur dann geht er auf die Hälfte, wenn man die Ware anschaut und durch den überhöhten Preis den Gefallen an der Ware verloren hat. Aber man darf das nicht spielen, es muss einem tatsächlich egal sein, ob man die war hat oder nicht. Wir suchten einen dekorativen Gegenstand zum Beispiel eine große Metallkanne oder eine schöne Wasserpfeife. Wir wollten es, und wir bekamen es nicht. Auf dem Bazar darf man nicht wollen. Man muss verzichten können, dann bekommt man es günstig.

Einlegearbeit

Einlegearbeit

Wir gingen durch die Gänge des Großen Bazars, der auch gedeckter Bazar genannt wird, bereit etwas Günstiges zu kaufen. Ein Bazar ist immer reizvoll. Was den Bazar in Istanbul zusätzlich reizvoll machte ist, dass er am Berg liegt, und so sieht man die Menschenschlange vor sich, je nach dem, den Berg hinauf oder hinunterziehen. Manchmal macht der Weg einen Knick oder teilt sich, dann kann der Blick nicht bis zum Ausgang des Bazars vordringen. Einmal schaute wir nach einem Bauchtanzkostüm, und drangen so in das Innere eines Ladens. Er hatte noch eine Treppe nach oben, wo weitere Waren auf den Verkauf harrten. Außer einem Kostüm, das nach Meinung des Verkäufers wegen der großen Abmessungen für die Schwiegermutter sei, fanden wir leider nichts, das in Farbe, Größe und Schnitt uns beiden gefallen hätte.

Leider sah man uns die Touristen an, deshalb wurden wir immer wieder angesprochen. Irgend wann erschien es einem lästig, die Verkäufer immer wieder abwimmeln zu müssen. Obwohl es beim großen Bazar nichts zu kritisieren gab, so richtig ging mir das Herz erst auf dem tiefer gelegenen Gewürzbazar auf, oder wie die Istanbuler sagen, dem Ägyptischen Bazar.

Ägyptischer Bazar

Die Leute stiegen die steile Straße scheinbar mit einer leichten Rückenlage hinab, um das Gewicht des Oberkörpers nicht auch noch davon abhalten zu müssen, der Schwerkraft ihren Lauf zu lassen, und die Straße immer schneller werdend hinabzulaufen, und nur noch mit großer Kraftanstrengung vor entgegenkommenden Passanten halten zu können. Nicht nur Alte stiegen mit vorgeneigtem Oberkörper die Straße hinauf, auch Junge, es geht eben einen steilen Berg hinauf. Mit großer Anstrengung werden zweirädrige, hoch und breit beladene Karren die Straße hinabgesteuert oder hinaufbewegt. Nicht nur in der Moschee, gerade hier in dieser Bazarstraße kann man den bewusst gelebten Koran erkennen, wenn der Bruder - im Christlichen würde man sagen "Bruder in Christo" - oder wenn mehrere Brüder in gutem Geschäftsanzug dem Karrenschieber in abgewetzten Klamotten helfen, den schweren Karren die holperige Straße zwischen den entgegenkommenden Fußgängern hochzuquälen. Die Straße ist links und rechts von Läden gesäumt, die ihre Ware im Schaufenster oder davor ausstellen. Nicht selten kommt es vor, dass ein Händler eine Zeitung auf der Straße ausbreitet und darauf seine Ware feilbietet. Auf halber Strecke zum Bazar haben wir  bei einem Backwarenverkäufer Sesamringe gekauft. Sein Verkaufswagen stand quer zur Straße, damit er sich nicht, wie von Geisterhand geführt, den Berg hinab in Bewegung setzt. Die Sesamringe waren, für unsere Verhältnisse, spottbillig. Wir hatten schon wieder Hunger, und der Verkäufer hatte noch nicht so viel Umsatz gemacht, dass er dem Kunden vor uns auf einen größeren Schein nicht heraus geben konnte. Er musste erst weglaufen, um diesen schein wechseln zu lassen.

Oben im gedeckten Bazar waren in einer Straße oft die Geschäfte einer Sparte nebeneinander. Diese Straße hinunter wechselten die Sparten ununterbrochen. Auch hier war der Löwenanteil Läden, in denen man etwas zum Anziehen kaufen kann, seien es Kleider oder Schuhe. Oft baumelte noch über dem Kopf die Ware, um so vielleicht einen Wunsch zu wecken und einen neuen Eigentümer zu finden.

Obwohl im Gedeckten Bazar ein Schild zum Ägyptischen Bazar wies, führte der Weg nicht unmittelbar zu ihm. Aber mit der Hilfsbereitschaft der Türken war es kein Problem , den Bazar zu finden. Allerdings hatte ich die Betonung immer auf der falschen Silbe und so musste ich immer wieder meine Frau bitten, dass sie Bazar sagt. Wenn sie Bazar sagte, dann klappte es auch immer sofort.

Der Ägyptische Bazar war, wie der große Bazar, gedeckt, aber wie vom Namen zu erwarten war, kleiner. Auf dem Flug nach Istanbul wurde Parfüm steuerfrei angeboten. In den Straßen wurde von den fliegenden Händlern Parfüm mit bekannten französischen Namen nachgeworfen, aber das geflügelte Wort heißt nicht "Alle Wohlgerüche Frankreichs", sondern  "Alle Wohlgerüche Arabiens". Erregt und scheinbar gelassenen Schrittes ging ich durch den Bazar an uninteressanten Waren vorbei, gespannt ob ich das Glück haben würde, einen Händler zu finden, der nicht die Wohlgerüche Frankreichs, New Yorks oder Tokios fertig abgefüllt und in Schachtel gehüllt in einem Regal stehen hat, sondern der die Wohlgerüche Arabiens selbst mischt und abfüllt, und dem noch ein Hauch  von Parfümdestillation anhängt. Ganz fern hing der Dreiklang: Rosenöl, Markt und Türkei.

Wir waren schon an einem Parfümladen vorbeigekommen, aber ich wollte  den Nervenkitzel des Kaufs eines orientalischen Parfüms noch nicht mit dem Erstehen des Parfüms beenden, auch schien der Laden mir nicht genügend orientalisch.

Auf dem weg zum Nervenkitzel, dem Riechen eines orientalischen Parfüms, dem Auswählen eines in Flaschen geborgenen Duftes kam en wir an einen Laden, der den Namen Gewürzbazar rechtfertigte, auch wenn er keine Gewürze anbot, aber er hatte seine Ware , wie man es von Gewürzen auf einem orientalischen Markt erwartet, offen in Säcken zur Ansicht und zum Verkauf aus dem Laden heraus  bis in die Straße hinein drapiert. Hatte sich ein Kunde , dem Händler gegenüber zum Kauf entschlossen, so machte dieser mit einem lauten Knall die Tüte, wie wir es als Kinder auch taten, zum Füllen bereit. Auch auf diese Weise verwirklichen in Istanbul die Händler das Wort: "Klappern gehört zum Geschäft".

Es gab getrocknete Datteln, getrocknete Pflaumen und getrocknete Aprikosen. Ich versuchte eine kleine getrocknete Palmenfrucht, die eine gelbe bis orange strohtrockene Hülse hatte. Die Frucht war süß, hatte einen kleinen Stein, oder richtig gesagt einen Dattelkern, aber sie schmeckte mir zu mehlig, und fand so nicht meinen Gefallen mehr davon zu kosten. Aprikosen lachten, wenn auch mit zerfurchtem  und gefaltetem  Gesicht, mich mit ihrem sonnigen  Gelb an. Es gab dreierlei Qualitäten bei den Aprikosen. Ich versuchte die billigste Qualität. Ich weiß, warum sie billiger war, als die beiden anderen, sie waren zu lange zum Trocknen in der Sonne gelegen, so dass sie kaum noch einen Tropfen Flüssigkeit enthielten, und den letzten Rest der Feuchtigkeit in meinem Mund auch noch aufsogen. So entschlossen wir uns zur mittleren Qualität, und sie erweckte nicht den Eindruck, dass die Früchte geschwefelt waren.  Vom Kaufrausch gepackt, suchten wir nach mehr Gaumenfreuden. Es standen verschiedene Kichererbsen, Pistazien  in Schalen, geknackte Wal-, Hasel und Erdnüsse zur Auswahl. Wir entschieden uns für die Erdnüsse, die noch mit ihren roten Schalen bekleidet waren.

Parfümkauf

Zur Linken tauchte wieder ein laden auf, der dem Begriff Drogerie voll gerecht wurde. Was bedeutet Drogerie? Drogerie ist ein Laden, in dem man Drogen kaufen kann. Unter Drogen versteht man nicht in erster Linie Rauschdrogen, sondern Blätter, Blüten  Wurzeln  und Essenzen  der verschiedensten Pflanzen, Kräutertee, die Mittel der Hausapotheke und Produkte der Hygiene und der Kosmetik, Farbstoffe  wie das teure Indigo oder das billigere Henna, sowie die Liebesmittel, Aphrodisiakum genannt. Indigo wurde natürlich nicht angeboten, wird es doch heute  mit synthetischen Farben täuschend ähnlich und viel billiger im Farbengeschäft angeboten. Tatsächlich wurde auf einem Plakat für das Aphrodisiakum des Sultans geworben.

In Rundbogen spannte sich von einer Ladenseite auf die andere, vielleicht eine konstruktive Notwendigkeit, damit das Dach sicher ruht, jedenfalls war dieser Bogen mit einer Szene aus der Parfümdestillation bemalt. Das Bild zeigte eine frühere Zeit, denn die Parfümeure trugen Turbane auf ihrem Haupt.

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Deckengemälde "Parfümherstellung"

Ich konnte mir nicht vorstellen, ein geeigneteres Geschäft zufinden, welches das Tor ist, dessen Weg zum Ein- und Untertauchen in arabische Wohlgerüche führt. In der vorderen hälfte des Geschäfts waren Gewürze, Tees und die derberen Dinge wie Skelette von Seegurken zur Massage der Haut. Hinten waren die verführerischen und unwiderstehlichen Genüsse oder Mittel zum Genuss der Genüsse. Dennoch wollte ich noch etwas fiebern, bevor der Freiraum der Phantasie welcher Duft mich des öfteren umschmeicheln wird, ausgeschöpft war, durch den Parfümkauf. Ich wand mich wandte mich den Aphrodisiaka zu, aber meine Frau meinte, dass ich das nicht nötig hätte und dass sie es auch nicht bräuchte. So wissen wir weder wie das Aphrodisiakum für Frauen noch für Männer duftet, schmeckt noch wirkt. Wir können es per Post auf dem Ägyptischen Markt bestellen. Die Hälfte der Wirkung beruht auf Hormonen und Vitaminen, die andere Hälfte beruht auf dem Entdecken des eben noch Zukünftiggewesenen. So bewahrt der Ägyptische Bazar für uns immer noch ein Geheimnis.

Fast alles Geheimnisvolle im hinteren Teil der alchemistischen Zauberkammer war in Augenschein genommen, bis auf das Parfüm. Es blieb nur noch eine Wurzel, die als Zahnbürste deklariert war. Vielleicht hat sie eine adstringierende Wirkung und nützt so bei Zahnfleischbluten. Sie wurde gekauft. Der Höhepunkt und das bald darauf folgende Ende des Nervenkitzels konnte nicht mehr hinausgeschoben werden.

Nun wurde der Höhepunkt angegangen. Der Verkäufer wurde nach Parfüm gefragt. Hinter ihm war die schönste Bar mit Karaffen auf Glasregalen aufgebaut. Dahinter standen  dekorativ Fayance-Teller. Die Farben der Flüssigkeiten in den Flaschen reichten von warmen Goldtönen bis zu hellem Königsblau, wie von Cognac bis zum Curaçao. Auf dem Etiketten der Flaschen standen die Namen ihres Inhalts. Die Namen waren weder orientalisch noch blumig, ich habe die Namen vergessen. Sie erinnerten mich mehr an New York oder Paris. An was ich mich noch erinnern kann ist, dass die Etiketten in den erotischen Kombination  "schwarz mit rot" zum Teil von Hand beschriftet waren.

Der Verkäufer nahm eine Flasche vom Regal. Er lüftete den eingeschliffenen Glasstopfen, steckte eine Spritze mit einer langen Kanüle in den Flaschenhals und entzog der Karaffe etwas von ihrem Inhalt. Mit ein paar kurzen Stößen auf den Kolben der Spritze zerstäubte er das Parfüm auf dem Pullover unter der Nase meiner Frau. Er hatte es, so sagte er wenigstens, selbst aus verschiedenen Ölen gemischt. Natürlich enthielt es Moschus und eine Menge verschieden duftender Pflanzenöle und -essenzen. Der Mann verstand sein Geschäft und kannte den Geschmack, der zur Zeit beliebt. Nachdem die ersten am leichtesten verdunstenden Essenzen verflogen waren und der dauerhafte Duft sich entfaltete, gefiel es meiner Frau und auch mir. Der erste Rausch hat damit seinen Zenit erreicht. Überraschender Weise konnte der Verkäufer unsere Aufmerksamkeit noch einmal fesseln, weil er nicht, wie erwartet, irgendwo das abgefüllte Parfüm unter dem Tisch hervorbrachte, sondern ein leeres, achtkantiges gläsernes Prisma mit Schraubdeckel das er nun öffnete. Der Karaffe entzog er mit der Spritze wieder das sinnenberauschende Gemisch verschiedener Destillate und füllte nun vor unseren Augen den Flakon bis zum Hals und steckte ihn dann in eine safranfarbene Packung auf der eine rote Rose in einem Oval abgebildet ist, mit der Aufschrift "Secret wish". Meiner Frau gefiel der Kauf und ich konnte die Zeremonie noch oft zelebriert bekommen, so dass meine Frau noch ein Parfüm erstand. Nach dem erfolgreichen Geschäft bekamen wir Tee, wie es im Orient üblich ist.

Zum Schluss nahmen wir noch Adaçay mit, was Gebirgstee heißt. Adaçay bei uns in der Drogerie gekauft und nach dieser Anleitung gebrüht schmeckt nach "bös muss bös vertreiben", aber in der Türkei ist Salbeitee türkisch zubereitet ein extischer Genuss für Nase und Gaumen. Ich nahm ein dürres Bündel Salbeistängel und wollte es kaufen, da sagte mir unser Parfümverkäufer, dass ich die mit Blüten nehmen sollte. Ich folgte ihm, denn er muss es ja wissen, er verkaufte es ja schließlich jeden Tag. Hinterher dachte ich bei mir, jetzt hat er uns den alten Ramsch angedreht, Salbei  erntet man vor der Blüte. Zu Hause haben wir Adaçay probiert, er war vollkommen und so ist der Drogist nun doch wieder der liebenswürdige Parfümspezialist geworden.

Nachdem das wichtigste Ziel auf dem Ägyptischen Bazar erreicht war, gingen wir weiter und ich entdeckte, einen Stock über dem Läden, knapp unter der Decke des Bazars eine Frauenfrisur. Zunächst dachte ich, der Mann verkauft unten und die Gattin langweilt sich oben über dem Geschäft bis der Mann den Laden schließt. Bei genauerem Betrachten ergab sich, dass der Laden eine Imbissstube war. Vielleicht war oben ein Platz, wo man speisen konnte und nebenher auf den Bazar herunterschauen konnte. Die Wirkung der Sesamringe war verflogen. Wir konnten wieder etwas essen. Unten fragten wir, ob man oben etwas essen kann. Das wurde bejaht. So stiegen wir die schmalen Treppen nach oben, um von luftiger Höhe auf das Treiben im Bazar und auf die Auslage eines Obst- und Gemüsestandes zu schauen und gleichzeitig dem Hunger einen Riegel vorzuschieben.

Der Büchermarkt

Wie Paris entlang der Seine einen Büchermarkt hat, der eine berühmte Fundgrube für bibliophile Raritäten ist, so hat auch Istanbul seinen Büchermarkt mit exotischen Schmökern. Ich suchte schon lange ein arabisches Werk über Nummerologie. Ich dachte, vielleicht ist dieser Markt eine Gelegenheit, das Gesuchte zu finden. Natürlich wusste ich weder was Nummerologie auf Arabisch heißt, noch auf Türkisch. Heute weiß ich was es auf Türkisch heißt, nämlich "Gizli Ilimler". Ich weiß nes deshalb, weil ich ein achtbändiges arabisches Werk wahrscheinlich über Nummerologie mit umfangreichem türkischem Kommentar zum Preis was hier zwei Allerweltstaschenbücher kosten, gekauft habe. Meine Frau musste noch auf mich einreden, dass ich es gleich kaufe, ich wollte es mir noch überlegen, ob ich es mir nachschicken lassen solle, aber am nächsten Tag flogen wir morgens wieder zurück und nachgeschickt hätten sie es auch nicht. So verdanke ich der schnelleren Devisenumrechnung meiner Frau, dass wir heute das "Gizli Ilimler" haben, auch wenn es niemand von uns lesen kann, ist es doch für uns eine bibliophile Rarität.

 

Das Türkische Bad

Ein Besuch im Türkischen Bad ist ein unbedingtes Muss bei einem Aufenthalt in der Türkei, schreibt der Reiseführer. Ich ging in ein vom Reiseführer empfohlenes dreihundert Jahre altes Bad. Ich betrat es über die Marmorstufen, die nach unten führten, über eine zweiflügelige Tür mit bunten Glasfüllungen. Hinter der Glastür war ich in einem Vorraum zum Bad, vergleichbar mit einem Vorraum zu einer Moschee. In der Mitte war ein Brunnen mit quadratischer Beckenform aber gerundeten Ecken und geschweiften Seiten. Der Brunnen. Der Brunnenrand maß an einer Seite vier Schritte. Über einem Eck des Brunnens lag ein Tablett, auf dem Orangen und daneben Grapefruits zu Pyramiden aufgetürmt waren. Zur Decke kam durch farbiges Glas Licht in den Vorraum. An der Außenseite  des Vorraums waren Kabinen und zwischen dem Brunnen und den Kabinen war Platz, um bequem zu zweit nebeneinander zu gehen  und Raum für Bänke zum Warten. Der Vorraum war zweistockig. Von einer Empore kann man auf den Brunnen in der Mitte des Vorraums schauen.

Es gab vier Preiskategorien, Türkisches Bad nach Art der Sultane, Türkisches Bad mit Frotieren, Haarwaschen und Massage, Türkisches Bad mit Frotieren, Haarwaschen, aber ohne Massage, und am einfachsten Türkisches Bad mit selfservice. Ich entschloss mich für die einfachste Art, dann konnte ich ja trotzdem sehen, was die jeweilige Kategorie auf sich hatte. Nachdem ich bezahlt hatte, wurde ich zu einer Kabine geführt, wie es Dutzende auf beiden Ebenen gab. Mir wurde angedeutet, meine Schuhe vor der Kabinentür stehen zu lassen, indem ich auf ein Paar für mich bereitstehende Holzschuhe gedeutet wurde. In der Kabine lag ein baumwollenes Lendentuch, das mit seinem Karomuster unseren Geschirrtüchern glich, aber zum Abtrocknen des Geschirrs etwas unhandlich groß war, aber es ist ja auch nicht zum Geschirrabtrocknen gedacht. Nachdem ich alle Kleider abgelegt, beziehungsweise aufgehängt hatte, schwang ich mir den Peschtemal um die Lende, trat vor die Ka­bi­nen­tür und bugsierte meine Füße in die bereitste­hen­den Holz­panti­nen. Wie ich vorsichtig versuchte mit dem ungewohnten hochhakigen Gehgerät in der dem Ausgang entgegengesetzten Richtung zu gehen, war auch schon ein Telak - ein Bademeister und Masseur - da, der mich in die richtige Richtung lenkte, indem er mir die Tür in das eigentliche Bad öffnete.

Das Bad war ganz aus lichtem Marmor, mit einer nebelgrauen Maserung. Unweigerlich ging mein Blick zur Decke. Es war wieder eine Kuppel. Sie war weiß, hatte aber ein paar schwarze Tränenspuren , die nach weiter oben zu den Lichteinlässen führten, welche die Form eines Sechsecks oder eines Davidsterns hatten, und aus rosa, blauem oder gelbem Glas bestanden. Der Raum glich in seinem Bau dem Gebets­raum einer Moschee. Es hatte einen quadratischen Grundriss. Wie man ein Achteck erhält, wenn man bei einem Quadrat die Ecken schräg abschneidet, so hatte der Architekt an jedes dieser acht Ecken eine Säule gesetzt, den Raum darüber von einem Achteck in einen Kreisübergehen lassen und darüber die Kuppel gewölbt. Zwischen dem Achteck, das die Hauptkuppel trug und  dem Quadrat waren kleinere Kuppeln, die den Dampf und die Wärme nicht in den Himmel abwandern ließen.

Wie in der Mitte des Vorraums ein monolithischer, barock geschweifter, quadratischer Brunnen stand, so stand hier ein ebener, sechseckiger, barock geschweifter Monolith. Dieser Riesenstein heißt Göbektaschi, das bedeutet Bauchstein. Dieser Göbektaschi ist ein riesengroßer warmer Massagestein, auf dem mehrere Personen gleichzeitig massiert werden.

Hinter den Säulen befanden sich vier Nischen, drei mit Wasserhähnen und marmornen Waschbecken, durch die vierte ging ich in den Dampfraum. Da schwitzte ich bei angenehmen Wärme und konnte auch gut die anderen Insassen des Schwitzraumes erkennen, anders als im römischen Bad, das einer Waschküche gleicht. Ich hatte Zeit. Viel Zeit. Ich genoss die Wärme. Ich saß auf einer Marmorbank und ließ meinen Körper durchwärmen. Schließlich verlies ich den Dampfraum und ging in den Raum mit der großen Kuppel zurück. Zunächst schaute ich mich um, wie es läuft. Einem wurde der Seifenschaum mit Wasser aus einer Tellergroßen Kupferschale abgespült. Die anderen wurden gewaschen oder massiert. Ich plätscherte ein bisschen mit solch einer Kupferschale herum. Das Wasser rann nur sehr spärlich aus dem Wasserhahn und so machte es auch keinen Spaß sich daran zu verlustieren. Ich verließ das Wasserbecken mit dem spärlichen Rinnsal und suchte, wie es weitergeht. Da kam ein Telak und zeigte mir es. Ich ging aus dem Kuppelraum und fand dort die Dusche. Ich duschte. Neben der Dusche stand ein Eimer mit einem Frotierhandschuh. Ich nahm den Frotierhandschuh aus dem Eimer und frottierte mir den Rücken, soweit ich es konnte. Dann entdeckte ich das Gesicht des Telaks über der Tür, hinter der ich mich geduscht hatte und mich nun frottierte. Ich ließ den Frottierhandschuh in den Eimer gleiten und ging zum Telak. Der nahm den nassen Peschtemal ab. Ich wickelte mir ein trockenes Frottiertuch um die Lende und der Telak packte meinen Kopf in ein Handtuch, dass ich wie eine Sphinx aussah und entließ mich in meine Kabine, wo meine Kleider waren. Kaum war ich in der Kabine, kam ein anderer Mann und fragte mich, ob ich Saft wolle, was ich bejahte und er fragte: "Orange?" und ich bejahte wieder. Dann legte ich mich auf die Liege. Ich lag noch nicht richtig, da ging die Tür wieder auf und die liegende Sphinx erhielt ein großes Glas frisch gepressten Orangensaft. Den Saft trank ich auf zwei Mal, ich hatte viel Flüssigkeit verloren. Dann legte ich mich zum Ruhen. Irgendwann war es dann langweilig, und so kleidete ich mich an und verlies das erste Mal das Türkische Bad.

Das Bad nur zu sehen und nicht ganz zu erfahren war falsch. Des halb ging ich am nächsten tag wieder ins Türkische Bad um mich nach Sultans verwöhnen zu lassen. Hätte ich nicht Sultanart gewählt, dann wäre ich mit Seife in der Hand abgeseift worden, aber da ich einen besseren Service bestellt hatte, fiele das Abseifen auch großartiger aus. Der Tellak kam mit einer Schüssel aus Kupfer, wie sie die Zuckerbäcker verwenden um Gebrannte Mandeln zu machen. Auf dem Grund lagen einige Stücke Seife. Wie beim Rasieren wurde mit einem Pinsel Seifenschaum in der Zuckerbäckerschüssel entwickelt. Mein Körper wurde mit einem Rasierpinsel eingeseift. Der Unterschied zur Rasur lag im Pinsel. Die Borsten des Sultanspinsels waren nicht aus feinstem Dachshaar, sondern bestanden aus dem ungekürzten Schweif eines Schimmels. Auch die Borsten waren soviel, wie bei einem Pferdeschwanz. Bei der ganzen Prozedur wurde der Peschtemal nie abgenommen. Nach der Reinigung der Hautoberfläche kam die Tiefenreinigung. Der Telak frottierte mit einem schwarzen Handschuh alles, was nicht von Haaren oder dem Peschtemal bedeckt war, wobei ich immer auf dem warmen Marmorboden saß. Dann wurden meine Kopfhaare gewaschen und mit einer Schale warmen Wassers mehrmals übergossen, um den Schaum abzuspülen. Nach dem Gebrauch wurden die Metallschüsseln schwungvoll aus der Hand eines Tellaks entlassen wurde, dass sie dann und wann und auf dem Marmorboden zu ihrem Abstellplatz schepperten. Nachdem mein Körper sultanisch gereinigt war, konnte er auf dem Bauchstein vom Telak massierender Weise weiterbearbeitet werden. Es war angenehm. Mein Körper erschien dem Telak nicht wie der anderer Badegäste dazu geeignet, dass er massierender Weise mit seine Füßen auf ihm herumbalancieren könnte, was auch nicht von jedem Tourist als angenehm empfunden wird.

Galata

Am Abend bestiegen wir den Galataturm, der sich auf der Spitze eines Hügels befindet. Wir schauten vom Turm auf das nächtliche Istanbul. Wir konnten nach Asien über die Meerenge des Goldenen Horns  in die Altstadt, in der wir wohnten, blicken. Die großen Moscheen waren in Scheinwerferlicht getaucht. Die Lichterketten zeigten den Verlauf der großen und kleineren Straßen. Die Straßenlaternen der Galatabrücke und der Straße, die entlang dem Goldenen Horn führt, spiegelten sich im Wasser und sahen aus wie strahlende Perlen, die auf einem unsichtbaren Faden aufgereiht sind. Links von der Galatabrücke lag der Bahnhof in dem allerspätestens die Fahrt mit dem Orient-Express endet, wenn man nach Osten fährt oder wenn man nach Westen fährt frühestens beginnt.

Byzanz

Mosaiken haben es mir schon immer angetan, ob römische in Mittel- oder Osteuropa oder byzantinische in Ravenna. Nun waren wir in Byzanz, und so wollte ich auch die berühmten byzantinischen Mosaiken sehen, deshalb machten wir uns nach der Chora-Klosterkirche auf. Dazu nannte der Reiseführer die Bushaltestelle Edirnekapi. Wir fuhren mit dem Bus und der liebenswürdigen Hilfe einiger Istanbuler zur Busstation Edirnekapi. Von der Bushaltestelle aus fanden wir mit der Hilfsbereitschaft der Leute auch die Chora- Klosterkirche. Alle Museen, zu denen nicht nur die Hagia Sophia, sondern auch die Chora-Kirche gehört, sind an diesem Tag geöffnet, nur die Chora-Kirche war an diesem Tag geschlossen. Ich war so begierig, das Kunstwerk zu sehen, dass ich sonst fast nichts mehr sah. Meine Frau hatte auf dem Weg zu dem mit Mosaiken ausgestatteten Baudenkmal ein viel massiveres entdeckt. Da die Kirche geschlossen war, und wir nun schon einmal hier waren, gingen wir zu der von ihr entdeckten riesigen antiken Mauer. Kinder zeigten uns für eine Münze den Weg, um hinter diese Mauer zu gelangen. Diese Mauer entpuppte sich als die theodosianische Stadtmauer. Wir gingen ein Stück auf ihr und zwischen der Vor- und Hauptmauer entlang. Wir sahen auf das Goldene Horn. Auf der anderen Seite ging es ebenso den Berg hoch, wie es auf unserer den Berg zum Golden Horn hinabging. Auf der anderen Seite  des Horns lag ein riesiger muslimischer Friedhof. Seine weißen Grabsteine, sahen von hier aus, wie das unregelmäßig verstreute Elfenbein eines Elefantenfriedhofs.

Wir gingen die Mauer weiter entlang und entdeckten eine Ruine. Sie lies erkennen, dass es sich bei ihr um ein architektonisches Juwel aus längst vergangenen Tagen handeln musste. Nicht das edle Weiß der marmornen Eingangsstufen oder die Doppelbogen tragenden Säulen des Eingangs künden von diesem einstigen Prunkstück, sondern der Rhythmus der hellen Sandsteine, die sich mit den gebrannten roten Ziegeln abwechseln, auch die Wechselornamentik in den Zwickeln zwischen den Fensterbögen, kündete von der einstigen Ästhetik, die in diesem Bauwerk noch heute zum Ausdruck kommt. Der französische Bildhauer Rodin schlug seinen Skulpturen die Extremitäten ab, um in der Fantasie des Betrachters so der Dynamik seiner Figur keine Beschränkung aufzuerlegen. Der ungewollte Torso des dachlosen Palastes beflügelte meine Gedanken, und ließ in meiner Fantasie einen römischen Wagen, vor den zwei Rappen gespannt waren, durch die Wachen vor dem Eingang anhalten. Ein Bote, der sich in Kreta eingeschifft hatte und bis zum Goldenen Horn gesegelt war, hatte den letzten Rest seiner Reise auf die Anhöhe zum Kaiser von Ost-Rom mit einem stolzen Zweiergespann zurückgelegt, um eine wichtige Kunde zu überbringen. Für einen Augenblick war Kaiser Hadrian zurückgekehrt und residierte in seinem Palast, der unerschütterliche Macht demonstriert. Die Unerschütterlichkeit drückt sich im Verhältnis der Höhe zur Breite der Palastfront aus. Die Höhe ist nicht größer als die Breite, und die Breite ist nicht größer als die Höhe, so dass in keiner Richtung ein Teil überwiegt und durch kein Ungleichgewicht die Macht erschüttert werden kann. Das Rot der Ziegel demonstriert Herrschermacht, aber verrät auch, dass diese nicht unblutig aufrecht erhalten wurde. Der weiß-rote Fries zwischen dem ersten und dem zweiten Stock erinnert an die strenge Formation der Legionäre, die zur Aufrechterhaltung der Macht nötig waren. Dann wird der Palast wieder zur Ruine. Eine Frau zeigt für ein bisschen Papiergeld, wo eine Leiter steht, um auf einer Mauer in den apsisartigen, südlichen Vorbau zu gelangen.

Am letzten Abend waren wir am Goldenen Horn, um mit den Einheimischen dem Sonnenuntergang zuzusehen. Aber es war ihnen zu kalt, um diesem Naturschauspiel zuzusehen, und so gab es nur sehr wenig Verkehr und es war relativ leise. Ich hörte, wie ein Muezzin über die Lautsprecher mit seinem psalmierenden Gesang des "Allah al Akbar" zum letzten Gebet des Tages rief. Die Lautsprecher sind so an den Minaretten aufgehängt, dass der Ruf zum Gebet in alle Richtungen tönt. Die Sonne war kaum untergegangen, und in die friedliche  Abendstimmung klang das "Allah al Akbar". Der dreimalige Ruf war noch nicht beendet, da rief von irgendwo anders ebenfalls ein Muezzin zum Gebet. Mehr Muezzin riefen von überall in alle Richtungen zum Gebet. Die Stimmlagen der Muezzins waren natürlich verschieden hoch, und so klang der Ruf der Muezzins wie bei uns ein vielstimmiges Glockengeläute an einem Festtag. Wenn irgendwo irgend ein Muezzin fast zu Ende war, begann irgendwo anders ein anderer. Für eine kurze Zeit war es fast wie Weihnachten. Obwohl wir noch Essen gingen und erst am nächsten Morgen abflogen, war dies der eigentliche Abschied der bezauberndsten Stadt, die ich bis jetzt kennengelernt habe.